Veranstaltung am Anne-Frank-Kolleg zeigt Perspektiven in der Pflege auf

Mehr denn je werden Fachkräfte in der Pflege gebraucht. Fachkräftemangel und demografischer Wandel sind ein unheilvolles Paar. Diejenigen, die in der Zukunft auf Pflege angewiesen sind, davon gehen Fachleute aus, stehen katastrophale Zeiten bevor. Ein Schlüssel zur Lösung des Problems sind Menschen, die sich für den Pflegeberuf gewinnen lassen. Die Schülerinnen und Schüler der Gesundheitsklassen des Anne-Frank-Berufskollegs erhielten am Mittwoch, 24. Januar, einen ehrlichen und erfrischenden Einblick in die Arbeit in der Pflege. Dafür sorgte die Veranstaltung unter dem Titel „Menschen pflegen, das ist meins“ des Autors Norbert Nientiedt und der Domfreunde Münster in Verbindung mit der Starken Pflege. Die Diakonie Münster war neben weiteren Akteuren der Starken Pflege und der Evangelischen Ausbildungsstätte des Münsterlandes für pflegerische Berufe (EAM) ebenfalls vor Ort.

(Link zum Originalartikel: https://diakonie-muenster.de/menschen-pflegen-das-ist-meins/)

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„Menschen pflegen, das ist meins“ ist auch der Titel eines Buches von Norbert Nientiedt. Es lässt sowohl Menschen zu Wort kommen, die gerade ihre Ausbildung in der Pflege absolvieren als auch solche, die schon seit vielen Jahren im Pflegeberuf tätig sind. Es ist eine Sammlung ganz persönlicher und authentischer Eindrücke. Was sind das für Menschen? Was motiviert sie? Woher schöpfen sie Kraft auch für die Herausforderungen? Mit vier Geschichten aus seinem Buch hat der frühere Lehrer und Schulseelsorger im Rahmen der Veranstaltung wesentliche Impulse gesetzt. Das Besondere: Die einzelnen Protagonistinnen und Protagonisten standen der Schülerschaft jeweils im Anschluss Rede und Antwort für deren ganz individuellen Fragen. Und davon gab es reichlich. Denn das, was Norbert Nientiedt sowie Mari Suppert, Mostafa Othmann, Daniela Rost und Joy-Samuel Schmed erzählten, zeugte gleichsam von Fachlichkeit und Menschlichkeit. Zugleich sparte es auch die großen Fragen des Lebens nicht aus wie etwa den Umgang mit dem Tod. Die Lesung und anschließende Diskussion wurden von Norbert Nientiedt sehr einfühlsam moderiert.

Große Dankbarkeit als zusätzlicher Lohn

In der vollbesetzten Aula der Anne-Frank-Schule hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Derart gebannt waren die Schülerinnen und Schüler, von dem, was sie an diesem Vormittag aus der Praxis und den persönlichen Erfahrungen der Beteiligten lernen konnten. Da ist die Geschichte von Mari Suppert. Mit ihren 20 Jahren ist sie kaum älter als die meisten Schülerinnen und Schüler. „Menschen können länger leben, wenn man anders mit ihnen umgeht“, so ihre These. Und sie können ganz sicher mehr Lebensqualität, mehr Freude und Trost erfahren. Das, was man ein ganzes Leben lang braucht, was aber gerade in der letzten Lebensphase häufig fehlt oder zu kurz kommt. Mari Suppert hat erlebt, wie eine alte demente Dame, die in Folge eines Schlaganfalls nicht reden und Reaktionen zeigen konnte, aufblühte, als sie mit ihr sprach, sang, tanzte und ihr Zeit schenkte. Worte und das Lächeln kehrten zurück. Ein Geschenk, das jeder Mühe wert ist und von Dankbarkeit gespiegelt wird. Ob dafür im Pflegealltag denn überhaupt Zeit bliebe, möchte jemand aus dem Publikum wissen. Es ist eine berechtigte Frage – auch vor dem Hintergrund der Bürokratie, die sich wie ein viel zu enges Korsett um die Arbeit der Pflegekräfte legt. Vielleicht klappe es nicht jeden Tag, aber man könne den Spielraum ausschöpfen, den man beispielsweise während der Körperpflege habe. Wichtig sei es, zuzuhören und die individuellen Wünsche ernst zu nehmen.

Arbeit in der Pflege stiftet Sinn

Mostafa Othmann kommt gebürtig aus Syrien und floh nach Deutschland. Dabei erlebte er selbst Schlimmes. Er arbeitet gerne mir schwer traumatisierten Menschen. „Oft sagen mir diese Menschen, weil ich unendlich zuhören kann, dass sie sich so verstanden fühlen“, sagt der junge Mann. Ob es Situationen gebe, in dem es ihm schwerfalle, professionelle Distanz zu üben, fragt jemand aus der Schülerschaft. Wenn ich jemanden weinen sehe, dann falle es ihm schwer, meint Mostafa Othmann. Er setze sich dazu, wenn jemand jemanden zum Reden brauche. Das zeugt von großer Zugewandtheit. Gleichzeitig wird in der weiteren Fragerunde schnell klar, wie differenziert und reflektiert der junge Mann Situationen einschätzt und wie facettenreich die Tätigkeit in der Pflege ist. Auch für die Angehörigen ist er da. Man merke, wenn sie sinnbildlich eine Hand auf der Schulter brauchen würden oder wenn man erst einmal schweigen und warten sollte. Die Arbeit in der Pflege führe auch dazu, dass er sich selbst intensiver mit seinem eigenen Leben auseinandersetze.

Vielseitigkeit des Pflegeberufs bietet zahlreiche Möglichkeiten

Auch für Daniela Rost ist die Zusammenarbeit mit den Angehörigen essenziell. Sie arbeitet seit rund 20 Jahren in der häuslichen Kinderintensivpflege und begleitet Kinder und deren Familien teilweise über viele Jahre. Wie man es emotional schaffen könne, mit dem Tode eines Kindes umzugehen, möchte jemand wissen? Das mache die Erfahrung, sagt Daniela Rost. Gleichzeitig macht sie den Anwesenden Mut: „Sie kommen da rein, lernen Emotionen standzuhalten.“ Ein stabiles soziales Umfeld, Familie und Freunde würden ihr helfen genauso wie der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. Darüber hinaus wurde deutlich, wie breit das Spektrum des Pflegeberufs ist, sodass jede und jeder herausfinden könne, welcher Bereich tatsächlich zu ihm passe.

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Ausländische Pflegekräfte sind Zugewinn für die Gesellschaft

Wie bereits an der Geschichte von Mostafa Othmann abzulesen, wird auch mit Blick auf Joy-Samuel Schmed, der als Kind aus Indien ins Münsterland kam, sofort deutlich, welch eine Bereicherung kulturelle Unterschiede für die Gesellschaft und die Pflege sind. Darüber hinaus ist klar: Ohne ausländische Pflegekräfte würde das System längst nicht mehr funktionieren. Trotzdem musste der junge Mann in seinem Leben immer wieder Rassismus und Mobbing erfahren. Das ist beschämend. Von sich selbst sagt Joy-Samuel Schmed, dass ihn jede Hürde stärker gemacht habe. Barack Obama, Martin Luther King und auch Martin Luther seien seine Vorbilder. Man merkt ihm seine Kraft und Motivation sofort an. Bevor er in der Pflege gelandet sei, habe er viele andere Tätigkeiten ausprobiert. Seit 14 Jahren steht für ihn fest: „Es muss etwas mit Pflege sein, weil ich sehr kommunikativ bin. Jetzt bin ich da, wo ich hinwollte.“ Auch seine Zukunft sieht er in der Pflege. An das Publikum gerichtet, betont er: „Es ist immer eine Erfahrung wert, in der Pflege zu arbeiten. Ihr solltet euch selbst ein Bild machen!“

Fazit macht Hoffnung

Am Ende der Veranstaltung meldet sich eine Schülerin zu Wort: „Ich fand es total spannend!“ Eine neue Sichtweise auf die Pflege habe sie bekommen. Ein Schüler schließt sich an: „Die Beispiele haben gezeigt, dass es kein Argument gibt, dass man diesen Beruf nicht ausüben sollte.“

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