Leseprobe: „Der Regenschirm mit den drei Dackeln“

Schon seit Kindheitstagen war es mein Herzenswunsch, Menschen zu pflegen. Als ich in der
Ausbildungszeit schwanger wurde, war es schön und wichtig, die Kinder groß zu ziehen. Später
habe ich beide Elternteile gepflegt. Trotz fortgeschrittenen Alters habe ich mir dann aber doch
noch meinen Traum erfüllt und das Examen zur staatlich anerkannten Altenpflegerin geschafft.
Endlich erlebte ich mich wieder als Petra und mit viel Arbeitsfreude widmete ich mich den
Bewohnerinnen und Bewohnern im Haus Simeon.


Eines Tages kam Frau Görke (Name geändert) direkt aus dem Krankenhaus zu uns. Die Angehörigen
hatten ihre Wohnung bis auf die materiellen Wertsachen wie Schmuck entrümpelt. Scheinbar
wertlose Erinnerungsstücke wie Häkeldeckchen, Möbel mit erheblichen Gebrauchsspuren und
„Nippes“ wurden aussortiert. Frau Görke sprach wochenlang mit niemandem, auch nicht mehr mit
den eigenen Kindern. Ich spürte ihre Verletztheit und mit ihrem Blick erreichte mich eine
unsagbare Leere, immer wenn ich in ihr Zimmer kam. Irgendwann und irgendwie muss sie wohl
gespürt haben, was ich empfinde.


An einem Montagmorgen brach sie ihr Schweigen und verriet mir unter Schluchzen, dass sie doch
so gerne ihren Regenschirm mit den drei Dackeln wieder haben möchte. Ihr verstorbener Mann
hatte einst Bilder von den geliebten drei Dackeln auf einen Regenschirm drucken lassen. Damit war
für sie die Erinnerung an ihren Mann und die Hunde immer greifbar gewesen. Dieser Regenschirm
aber war, wie auch andere Erinnerungsstücke, einfach entsorgt worden.


Ich versuchte nun bei jedem Anlass, dies im Gespräch mit den Angehörigen bewusst werden zu
lassen. Sie verstanden es zunächst nicht. „Das Zimmer im Heim ist doch viel kleiner und wir
mussten zwangsläufig reduzieren…der Schmuck und die Wertsachen sind doch noch da.“ Langsam
erst und nach längeren Gesprächen, erkannten zunächst die Enkel von Frau Görke: „Der olle
Regenschirm mit den drei Dackeln, den hat Oma doch immer so geliebt.“ Für die Kinder war sofort
klar, dass in dieser neuen Lebenssituation eben Erinnerungswerte – gegenüber materiellen Werten
– erheblich an Gewicht gewinnen.


Die Sprachlosigkeit von Frau Görke löste sich allmählich auf, und als der kleine Benjamin ein altes
Foto von dem Regenschirm mit den drei Dackeln in einer alten Zigarrenkiste gefunden hatte, war
die Welt auch wieder in Ordnung. Ich konnte mich endlich so richtig freuen, wenn ich in Frau
Görkes Zimmer kam

Petra Aykin